Montag, 25. Februar 2013

Dornröschen

Es war einmal in einem nicht allzu fernen Land vor gar nicht allzu langer Zeit,

da lebte ein Königskind von ganz außerordentlicher Schönheit, wie sie sonst nur in Märchen zu finden ist. Auch zeichnete sich die junge Frau, zu der es nach dem viel zu frühen Tod des Königs herangewachsen war, durch einen wachen Geist und ein glockenhellen Lachen sowie einen starken Willen aus. Kurzum, die junge Prinzessin war eine Person, die so manchen Prinzen in ihren Bann zu ziehen vermochte. 

Nur genau hier beginnt das, was im Märchen wie in anderen Geschichten die schicksalshafte Fügung ist: denn der Verstand der Prinzessin war zwar wach, doch sie selbst war es kaum. Nein, die schöne Königstochter lebte selten in dieser Welt, die ihr grau und unheimlich erschien. Weit mehr Zeit verbrachte sie im Reich ihrer Träume. Dorthin entfloh sie dem Hof mit seinem strikten Protokoll und ritt frei durch die Welt – als Brigantin, als Kurtisane, als Tänzerin und als noch so vieles mehr; so viel, dass sie selbst oft kaum wusste was noch. 

Dies allein mag noch kaum schicksalsschwer erscheinen, doch wann immer die Prinzessin in diesen Träumen schwelgte und über ihr Traumreich gebot, wuchs um sie herum ein Dornenbusch. Zunächst war es nur ein Kranz um die Stirn, doch je weiter sich unsere Heldin aus dieser Welt zurückzog und je länger sie in der anderen verweilte, desto mehr wuchsen sich die stachelbewährten Ranken aus, bis eines Tages niemand mehr die Königstochter zu berühren vermochte, ohne sich an den Dornen zu stechen. Aufgrund dieses Umstandes nannte man das Schöne Kind seither Dornröschen.

Es begab sich, dass ein Prinz des Weges kam und als er zwischen den Ranken Dornröschens Lächeln erblickte, war es um ihn geschehen. Fortan wartet er sehnsüchtig jeden Moment an ihrer Seite darauf, dass sie erwachen möge um einige Zeit mit ihm zu plaudern. Nach einiger Zeit genügte beiden die Plauderei nicht mehr und um sich und seinem geliebten Dornröschen den innigen Wunsch zu erfüllen, zwängte sich der Prinz zwischen die Ranken des Dorngestrüpps, alle Kratzer und Schrammen frohen Mutes ertragend, um nur bei Dornröschen sein zu können und hin und wieder einen Kuss von ihren blutroten Lippen zu erhaschen.

Dies gelang für 475 Tage und Nächte, doch währenddessen war die Prinzessin immer wieder in Morpheus Arme geglitten und so war auch der Dornbusch weiter gewachsen. Als Dornröschen sah, wie ihr Prinz von den Dornen immer blutiger gezeichnet wurde, stand sie vor der Wahl ihr Traumreich zu verlassen um beim Prinzen zu leben, oder aber weiter in sich versunken der diesseitigen Welt zu entfliehen.

Die Entscheidung, die sie fällte, brach dem Prinzen das Herz, auf das es stärker blutete, als je durch die Stacheln, die nun endgültig wie ein Panzer Dornröschen umgaben. Ein dornenbewährter Schild, der sich jetzt noch weiter schloss und durch den für den Prinzen kein Weg mehr führte. Aber es waren nicht die zahllosen Dornen die ihm den Einlass verwehrten, sondern allein der Wunsch der Prinzessin war es, der ihn auf der anderen Seite der Hecke bannte. Sie war in eine Welt entschwunden, in die er ihr nicht folgen konnte, so sehr er sich das auch wünschte. So zog unser Prinz gebrochen in die öden Lande, wo sich seine Spuren im Staub der Zeit verloren, während Dornrösschen in ihre Träume floh.

Und wenn Sie nicht gestorben sind, dann leben Sie noch heute – irgendwie und irgendwo.


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