Montag, 11. März 2013

Der Nichtwähler

Wir sind die Mehrheit. 47% der Wahlberechtigten in NRW, 41,6% in Niedersachsen; die ehemaligen Volksparteien komfortabel abgehängt! Da schauten die Analysten natürlich wieder in ihre Kristallkugeln und wunderten und orakelten, wie das nur sein könne. Es geht doch immerhin um politische Weichenstellungen! Der Wähler hat die noble demokratische Aufgabe und Chance, seinen Repräsentanten zu wählen, sich für unterschiedliche Konzepte zu entscheiden. Warum bloß nimmt der Trottel diese Gelegenheit nicht wahr? Ist es ihm denn egal? Will er sich nicht beteiligen? Ist er so undemokratisch? Ja, das muss es sein. Ist ja auch typisch deutsch. Immer nur meckern, aber dann nicht den eigenen Hintern von der Couch kriegen. Ja so ist er wohl der deutsche Wähler, beziehungsweise Nichtwähler – oder?

Ist es nicht vielleicht so, dass der Nichtwähler gar nicht so politisch uninteressiert und uninformiert ist, wie ihm gerne unterstellt wird? Ja, freilich, diesen Typus gibt es selbstverständlich auch, aber wenn ich mir anschaue, wer da jahrein, jahraus mit welchen Versprechungen und Unideen gewählt wird, dann kann es doch bei aller Liebe um den politischen Verstand des Durchschnittswählers auch nicht gerade rosig bestellt sein. Faule Äpfel gibt es bekanntlich überall. Ich glaube ein Großteil derer, die sich ihrer Stimme enthalten, tun das ganz bewusst, gerade weil sie politisch interessiert sind, mehr sogar noch als der Durchschnittsbürger und aufgrund dieses Interesses auch ein gewisses Urteilsvermögen mitbringen, das über das Verteilen von Sympatiepunkten an nierenspendende Politiker hinausgeht. Der Nichtwähler ist gewissermaßen dem Wähler einen Schritt voraus. Während sich dieser noch überlegt, von welcher Kürschnerinnung er sich die nächsten 4 Jahre das Fell über die Ohren ziehen lässt, zieht der Nichtwähler aus der sich ihm darbietenden Alternativ- und Ideenlosigkeit die einzig logische Konsequenz und verweigert der angetretenen Schauspieltruppe seine Stimme.

Denn seien wir doch ehrlich, den Budenzauber der sich großspurig als bundesdeutsche Politik bezeichnet, kann man bei genauerem Hinsehen doch überhaupt nicht ernst nehmen, geschweige denn wählen. Die veröffentlichte Meinung kreist um Debatten, zu denen Journalisten vor einigen Jahrzehnten bestenfalls noch irritiert die Augenbrauen erhoben hätten, nicht aber das geschriebene Wort. Aber wen sollte das wundern in einer durch und durch kommerzialisierten Gesellschaft in der das Kapital über alles gestellt wird, selbst noch über die angeblich vierte Gewalt? Von einer kommerziell organisierten Presse ist wohl kaum zu erwarten, dass sie sich inhaltlich mit Fragen oder vielmehr noch mit Antworten jenseits der sie konstituierenden wirtschaftlichen Verhältnisse auseinandersetzt. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. So einfach ist das und bislang wurden noch keine überzeugenden Argumente gegen diese einfache These vorgebracht. Und so stilisiert diese deutsche Presse die lauen und argumentativ armen Debatten unserer Parteienlandschaft zu einem titanischen und verbissenen Ringen der unterschiedlichen politischen Lager – obwohl einem eigentlich alle das Gleiche erzählen, nur vielleicht ein wenig anderes verpackt – oder es wie die Kanzlerin halten und bei näherer Betrachtung im Grunde gar nichts sagen. Vielleicht ist das das eigentliche Geheimnis hinter dem Wahlerfolg der Piraten: noch stehen sie für nichts oder zumindest für nichts, unter dem sich der Wähler konkret etwas vorstellen könnte. Aber da rätzeln die Meinungsforscher noch.

Meinungsforschung. Das ist auch so ein Thema. Mir hat mein Professor mal gesagt: „Eine Meinung hat in einer wissenschaftlichen Arbeit nichts verloren.“ Jetzt erklär mir dann aber bitte mal jemand, wie Meinungsforschung als Wissenschaft anerkannt werden konnte? Meinungsforschung: Kaffesatzlesen aus den unausgegorenen Ausscheidungen des Stammtisches. Und das ist heute teilweise wichtiger für politische Entscheidungen als gesunder Menschenverstand, von Sachverstand einmal ganz zu schweigen. Eine Kanzlerin wie Angela Merkel schafft es sich an der Macht zu halten, obwohl sie inhaltlich für nichts steht. Genauer gesagt steht sie für nichts sehr lange, sondern hängt ihre Fahne immer nach der aktuellen Wetterprognose der großen Umfrageinstitute.

Und dieser Frau beziehungsweise ihrer Partei soll ich meine Stimme geben? Nein danke! Aber welche Alternativen habe ich stattdessen? Wie bereits erwähnt, wagt es doch niemand von politischem Gewicht, der Mutti der Nation zu widersprechen, wenn sie von der Alternativlosigkeit ihrer ausbeuterischen Politik spricht, von der allein das Kapital profitiert, nicht aber das gemeine Wahlvolk, dessen Löhne stetig stagnieren wenn nicht sinken, dessen Renten gekürzt werden, das bis ins Grab arbeiten muss während sich vor seinen Augen die Kaste raffgieriger Manager und Banker wie in einem Selbstbedienungsladen gütlich tut – selbstherrliche Posen der Verhöhnung inbegriffen. Wo könnte denn der Wähler sein Kreuzchen setzen, um dieser Schlachtung mit Ansage auf dem Altar des Neoliberalismus zu entgehen?

Die SPD ist doch mittlerweile eine vor lauter Luftanhalten rot gewordene CDU. Sie weigert sich regelrecht vor der Regierungsverantwortung, indem sie seit Jahren rot-rot-grün kategorisch ausschließt, obwohl die verbliebenen Wähler diesem Bündnis in einer Landtagswahl nach der anderen eine Mehrheit verschafft hätten. Diese Partei will doch gar nicht mehr alleine die Verantwortung tragen, nachdem man doch mit Mutti ihm Boot so kuschelig gefahren ist und am Ende niemand Schuld am angerichteten Schlamassel hatte – wie das immer so ist, wenn alle es waren. Ein weiterer Beleg dafür ist doch die Nominierung Peer Steinbrücks zum Kanzlerkandidaten, für die es nur 2 mögliche Erklärungen gibt: entweder, der Mann wurde von der CDU geschickt eingeschleust um die SPD zu sabotieren, oder aber SPD-Führung wie Basis selbst wollen einen Wahlsieg um jeden Preis verhindern. Wie sonst wäre diese eklatante Fehlbesetzung zu erklären? Ein ideologisch rechtsgerichteter SPD-Kanzlerkandidat, der mehr Gehalt für den Kanzler fordert? So blöd kann man gar nicht sein – das ist doch Absicht.

Die FDP muss eigentlich als verfassungsfeindlich bezeichnet werden, so sehr wie sie sich in ihren Steuersenkungstiraden darum bemüht, den Staat als die Wurzel allen Übels in den Köpfen der Menschen zu verankern, als würden mit Steuergeldern keine Straßen gebaut und für ein gewisses Maß öffentlicher Ordnung und Versorgung gesorgt, sondern Hundebabys erstickt und Terroristen finanziert. Zumindest über letzteres könnte man freilich durchaus diskutieren, aber ich schweife ab. Aber auch ihre Weigerung gegen kritische Formulierungen im Armutsbericht und die damit verbundenen Leugnung der zerstörerischen Fliehkräfte des Kapitalismus auf die Gesellschaft zeugen nicht gerade von einer Grundhaltung, die nicht so recht mit Menschenwürde und Sozialstaatsgebot des Grundgesetztes zusammenpassen will.

Bleiben derzeit noch die Grünen und die Linke. Insbesondere die Grünen haben ja nachwievor das Image einer alternativen Partei, doch sieht man genauer hin, dann singen sie das Hohelied des Kapitalismus genauso wie die, zu deren Ablösung sie vor Jahrzehnten angetreten waren, nur eben in einer anderen Klangfarbe. Doch ein paar Blumengirlanden machen aus einem Exerzierplatz noch lange keinen Kinderspielplatz. Auch bei den Grünen geht es im Kern doch einzig und allein um Wachstum als Lösung aller Probleme, aber es soll halt bitteschön grün sein. Aber Hand aufs Herz: auch Kinderarbeit kann CO²-neutral sein.

Solange wir Antworten immer nur innerhalb dessen suchen beziehungsweise geboten bekommen, was uns der Kapitalismus an Handlungsalternativen vorgibt, können wir die Probleme, die durch diese Wirtschaftsform hervorgerufen werden, nicht lösen. Das ist verkürzt gesagt so, als würde jemand versuchen, sich an seinen eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Erst, wenn wir die Logik des Systems kritisch beleuchten und ernsthaft versuchen jenseits der ausgetretenen Pfade Lösungen zu finden, dann kann es vlt. gelingen, aus dem Kreis immer gleicher, nur neu verpackter Platituden auszubrechen. Die einzige deutsche Partei, die dies derzeitig noch – und immer zaghafter – wagt, ist die Linke. Sie wird jedoch von den bereits angesprochenen Medien derartig niedergeschrieben, dass sie für viele Wähler einfach keine realistische Option ist. Dabei hilft die Haltung der SPD sowie das teilweise selbstzerstörerische Verhalten einzelner Parteimitglieder relativ wenig. Man wird einfach nicht als ernstzunehmende Kraft wahrgenommen, wenn niemand mit einem zusammenarbeiten will und man gleichzeitig noch den greisen Führern karibischer Diktaturen zum Geburtstag für ihr Lebenswerk gratuliert. Da können im Parteiprogramm noch so richtige Sachen stehen.

Wer fragt sich angesichts dieses desolaten Bildes noch ernsthaft, warum so viele Menschen in diesem Land sich nicht an Wahlen beteiligen wollen? Ihr wollt wieder mehr Wähler an den Urnen? Dann bietet wirkliche Alternativen! Streitet euch und ringt um wirkliche Lösungen, nicht nur faule Kompromisse, die Problem nicht lösen, sondern allenfalls verschleiern! Solange es rein gar nichts ändert, wen man wählt, so lange wird die Zahl derer, die dieses Theater nicht mehr mitmachen, immer größer werden. Die absolute Mehrheit winkt!

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