Freitag, 22. März 2013

Blei

Es gibt Tage, an denen man einfach am besten im Bett bleiben sollte, auch wenn die Sonne einen noch so sehr anlacht. Man erkennt diese Tage sehr gut daran, dass besagtes Lachen einem in den Schädel fährt wie ein heißes Messer in die sprichwörtliche Butter. Geblendet schließe ich die Augen hastig wieder in der vagen Hoffnung auf Linderung. Doch wo das Stechen vorerst weicht, springt der Magen in die sensorische Bresche und erinnert mich daran, dass man paradoxer Weise auch nach dem Erbrechen noch das Gefühl haben kann, bis zum Magenmund abgefüllt zu sein. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, den Großteil meines gestrigen Nahrungsmittel- und Alkoholkonsums an irgendeiner Bushaltestelle zurückgelassen zu haben.

Während ich den Würgereiz mühsam unterdrücke, versuche ich aus den inkohärenten letzten Bildern des Abends zu schlussfolgern, wie ich eigentlich im Bett gelandet bin. Aber mein Kopf scheint wie die Lostrommel, die sich gerade dort dreht, wo mein Magen eigentlich sein sollte, bis zum Bersten mit flüssigem Blei gefüllt. Auf diesem treiben die Gedanken zäh dahin, ohne erkennbare Richtung oder Verbindungen. Nach einer Weile gebe ich es auf und lasse den Mysterien vom stehen gebliebenen Bus und dem Erscheinen eines Taxis aus dem Nichts ihren nebulösen Zauber. Man muss ja auch nicht alles wissen.

Eins weiß ich aber leider nur zu gut: ich muss los zur Arbeit. Verdammt, auch das noch. Vielleicht doch lieber krank melden? Die Aussicht auf 8 Stunden in meiner momentanen Verfassung am Schreibtisch weckt nicht gerade Begeisterung. Letztlich siegt dann aber doch das Pflichtgefühl über den Schlendrian, nicht zuletzt da der Umstand, dass Kollegen an meiner aktuellen Topform nicht gänzlich unbeteiligt waren, eine plötzliche Erkrankung als recht durchsichtige Ausrede erscheinen lässt. Also hieve ich die bleischweren Knochen vorsichtig aus dem Bett, bedacht auf kleine Schritte um das Phänomen, welches in der Nautik als Rollen bezeichnet wird, möglichst zu begrenzen. Seekrank bin ich, wie mir scheint, schon genug.

Zum Glück ist es mit dem Duschen wie mit dem Fahrradfahren: einmal erlernt, schafft man es in fast jedem Zustand noch ans Ziel zu kommen, auch wenn die Haltungsnoten heute sicher kein Publikum vom Hocker gerissen hätten. Was zählt ist ja aber das Ergebnis und mit leidlich renovierter Visage lässt sich dem Tag und den Menschen darin doch viel leichter geistige Anwesenheit vorgaukeln.

Der Weg zum Bus gerät zum ersten Höhepunkt des Tages: zur Abwechslung mal kein Schnee sondern zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder Sonne und ein so strahlend blauer Himmel, dass selbst der flauste Magen nicht verhindern kann, dass sich ein feines Lächeln auf meine Züge stiehlt. Ich bin beinahe versucht den Schnee zu übersehen und das mit dem Frühlingsanfang für bare Münze zu nehmen. Die kleinen Dinge und so. Die gute Laune hält jedoch nur bis zum ersten Versuch, auf der Arbeit produktiv zu sein, was zunächst ähnlich gut gelingen will wie die Rekonstruktion meiner nächtlichen Heimkehr. Schwermetall statt Lösungen im Kopf und die Minuten rinnen zäh dahin wie langsam erkaltende Schlacke. 
 
Und dann spreche ich auch noch seit Langem zum ersten Mal wieder mit dir und ich bin mir nicht sicher, ob es an meiner fragwürdigen Tagesform liegt oder andere Gründe hat, aber ich habe fast das Gefühl die Worte einer Fremden zu lesen. Ich glaube auch dir ergeht es ähnlich und du weißt selbst nicht so recht, was du noch mit mir anfangen sollst. Sicherlich kein weiterer Höhepunkt, wenn auch weit entfernt von einem Tiefpunkt. Einfach nur ein merkwürdiges Gefühl an einem Tag, der, wenn man ihn beschissen nannte, wohl nur mit den Schultern zucken und zur Antwort geben würde: „Selbst schuld, was bist du auch nicht einfach im Bett geblieben?“

3 Kommentare:

  1. Die Hoffnung stirbt auf der Schwelle zur Erfüllung.

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  2. A gloomy day sows gloomy thoughts, yet each day comes to an end, eventually.

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    1. Du brauchst dringend Synapsensex.
      Samuel Beckett - Murphy
      “Die Sonne schien, da sie keine Wahl hatte, auf nichts Neues." Leute, die ihren Kaffee ungeachtet über so etwas schütten, gehören eingeschläfert.

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