Montag, 1. April 2013

Der Weg ist kein Ziel

„Darf es noch etwas sein?“ fragt die pummelige Dame hinter dem Tresen nicht unfreundlich und ich möchte antworten „Ja, ein wenig Sorglosigkeit und wenn sie noch was da haben, auch gerne etwas Vergessen, gegen den Schmerz, sie verstehen, der Weg ist noch lang.“ Stattdessen bestelle ich lächelnd eine heiße Schokolade, denn Zucker und Sonnenschein sind in dieser Hinsicht auch nicht übel, wenn auch Balsam ein etwas hochgestochener Ausdruck wäre für die zufällige Kombination von Saccharin und Dopamin. Aber immer noch besser als auf der Straße einfach die Augen zu schließen und das Lenkrad loszulassen, endgültig stehen zu bleiben.

Also fahre ich. Die Straße erstreckt sich von Horizont zu Horizont, ein endloses graues Band mit tausend mäandernden Verästelungen, auf dem jeder irgendwohin will, ein Ziel zu haben scheint - jeder außer mir. Ich fahre nur um dem Stillstand zu entkommen, kenne kein Wohin, nur das Woher, zu dem ich nicht mehr kann. Also weiter, weiter; immer voran, rastlos von einer Raststätte zur nächsten.

Die Sonne brennt eisig vom blauen Himmel herab auf den dunklen Belag der Straße. Sie spendet noch keine Wärme sondern blendet nur. Blinzelnd blicke ich nach draußen, wo Menschen und Stahl vor oder hinter mir auftauchen, vorüber huschen und dann verschwunden sind, als hätte es sie nie gegeben. Hin und wieder am Wegrand ein Schild: Mami und Papi sind tot, also runter vom Gas. Was kümmert Tote mein Fahrstil und was kümmern mich Tote, die ich nie gekannt habe? Ich habe genug eigene Leichen im Kofferraum, ich brauche kein fremdes Elend.

Irgendwo sagt irgendjemand, der Weg sei das Ziel, aber ich weiß, dass er lügt. Er will nur nicht, dass ich zu lange bleibe, aber das will ich auch nicht, denn ich weiß ja, dass er lügt und warum sollte ich bei einem Lügner bleiben wollen? Dann lieber die Straße, lieber wieder weiter, auch wenn im Radio scheinbar nur noch traurige Stimmen aus der Vergangenheit zu hören sind. Der melancholische Singsang hüllt mich ein und die Gedanken wandern zu Menschen, deren Schmerz immer noch mein eigener ist, auch wenn weder sie noch ich das so wollen und ich weder ihnen noch mir helfen kann. Fremdes Elend, dass sich unter meine Leichen gestohlen hat.

Also fahre ich, verbrenne totes organisches Material aus dem Jura um ein Stückchen weiter zu kommen, irgendwie; immer auf der Flucht vor der hinter mit liegenden Dämmerung. Nur weiter und wenn es auch erst einmal nur zum nächsten Tresen ist, zur nächsten Lüge. Was macht das schon, solange es freundliche Fragen und heiße Schokolade gibt?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen