Wir sind die Mehrheit. 47% der
Wahlberechtigten in NRW, 41,6% in Niedersachsen; die ehemaligen Volksparteien
komfortabel abgehängt! Da schauten die Analysten natürlich wieder in ihre Kristallkugeln
und wunderten und orakelten, wie das nur sein könne. Es geht doch immerhin um
politische Weichenstellungen! Der Wähler hat die noble demokratische Aufgabe
und Chance, seinen Repräsentanten zu wählen, sich für unterschiedliche Konzepte
zu entscheiden. Warum bloß nimmt der Trottel diese Gelegenheit nicht wahr? Ist
es ihm denn egal? Will er sich nicht beteiligen? Ist er so undemokratisch? Ja,
das muss es sein. Ist ja auch typisch deutsch. Immer nur meckern, aber dann
nicht den eigenen Hintern von der Couch kriegen. Ja so ist er wohl der deutsche
Wähler, beziehungsweise Nichtwähler – oder?
Ist es nicht vielleicht so, dass
der Nichtwähler gar nicht so politisch uninteressiert und uninformiert ist, wie
ihm gerne unterstellt wird? Ja, freilich, diesen Typus gibt es
selbstverständlich auch, aber wenn ich mir anschaue, wer da jahrein, jahraus
mit welchen Versprechungen und Unideen gewählt wird, dann kann es doch bei
aller Liebe um den politischen Verstand des Durchschnittswählers auch nicht
gerade rosig bestellt sein. Faule Äpfel gibt es bekanntlich überall. Ich glaube
ein Großteil derer, die sich ihrer Stimme enthalten, tun das ganz bewusst,
gerade weil sie politisch interessiert sind, mehr sogar noch als der
Durchschnittsbürger und aufgrund dieses Interesses auch ein gewisses Urteilsvermögen
mitbringen, das über das Verteilen von Sympatiepunkten an nierenspendende
Politiker hinausgeht. Der Nichtwähler ist gewissermaßen dem Wähler einen
Schritt voraus. Während sich dieser noch überlegt, von welcher Kürschnerinnung
er sich die nächsten 4 Jahre das Fell über die Ohren ziehen lässt, zieht der
Nichtwähler aus der sich ihm darbietenden Alternativ- und Ideenlosigkeit die
einzig logische Konsequenz und verweigert der angetretenen Schauspieltruppe
seine Stimme.
Denn seien wir doch ehrlich, den
Budenzauber der sich großspurig als bundesdeutsche Politik bezeichnet, kann man
bei genauerem Hinsehen doch überhaupt nicht ernst nehmen, geschweige denn
wählen. Die veröffentlichte Meinung kreist um Debatten, zu denen Journalisten
vor einigen Jahrzehnten bestenfalls noch irritiert die Augenbrauen erhoben
hätten, nicht aber das geschriebene Wort. Aber wen sollte das wundern in einer
durch und durch kommerzialisierten Gesellschaft in der das Kapital über alles
gestellt wird, selbst noch über die angeblich vierte Gewalt? Von einer
kommerziell organisierten Presse ist wohl kaum zu erwarten, dass sie sich
inhaltlich mit Fragen oder vielmehr noch mit Antworten jenseits der sie
konstituierenden wirtschaftlichen Verhältnisse auseinandersetzt. Wes Brot ich
ess, des Lied ich sing. So einfach ist das und bislang wurden noch keine
überzeugenden Argumente gegen diese einfache These vorgebracht. Und so
stilisiert diese deutsche Presse die lauen und argumentativ armen Debatten
unserer Parteienlandschaft zu einem titanischen und verbissenen Ringen der
unterschiedlichen politischen Lager – obwohl einem eigentlich alle das Gleiche
erzählen, nur vielleicht ein wenig anderes verpackt – oder es wie die Kanzlerin
halten und bei näherer Betrachtung im Grunde gar nichts sagen. Vielleicht ist
das das eigentliche Geheimnis hinter dem Wahlerfolg der Piraten: noch stehen
sie für nichts oder zumindest für nichts, unter dem sich der Wähler konkret
etwas vorstellen könnte. Aber da rätzeln die Meinungsforscher noch.
Meinungsforschung. Das ist auch
so ein Thema. Mir hat mein Professor mal gesagt: „Eine Meinung hat in einer
wissenschaftlichen Arbeit nichts verloren.“ Jetzt erklär mir dann aber bitte
mal jemand, wie Meinungsforschung als Wissenschaft anerkannt werden konnte?
Meinungsforschung: Kaffesatzlesen aus den unausgegorenen Ausscheidungen des
Stammtisches. Und das ist heute teilweise wichtiger für politische
Entscheidungen als gesunder Menschenverstand, von Sachverstand einmal ganz zu
schweigen. Eine Kanzlerin wie Angela Merkel schafft es sich an der Macht zu
halten, obwohl sie inhaltlich für nichts steht. Genauer gesagt steht sie für
nichts sehr lange, sondern hängt ihre Fahne immer nach der aktuellen
Wetterprognose der großen Umfrageinstitute.
Und dieser Frau beziehungsweise
ihrer Partei soll ich meine Stimme geben? Nein danke! Aber welche Alternativen
habe ich stattdessen? Wie bereits erwähnt, wagt es doch niemand von politischem
Gewicht, der Mutti der Nation zu widersprechen, wenn sie von der
Alternativlosigkeit ihrer ausbeuterischen Politik spricht, von der allein das
Kapital profitiert, nicht aber das gemeine Wahlvolk, dessen Löhne stetig
stagnieren wenn nicht sinken, dessen Renten gekürzt werden, das bis ins Grab
arbeiten muss während sich vor seinen Augen die Kaste raffgieriger Manager und
Banker wie in einem Selbstbedienungsladen gütlich tut – selbstherrliche Posen
der Verhöhnung inbegriffen. Wo könnte denn der Wähler sein Kreuzchen setzen, um
dieser Schlachtung mit Ansage auf dem Altar des Neoliberalismus zu entgehen?
Die SPD ist doch mittlerweile
eine vor lauter Luftanhalten rot gewordene CDU. Sie weigert sich regelrecht vor
der Regierungsverantwortung, indem sie seit Jahren rot-rot-grün kategorisch
ausschließt, obwohl die verbliebenen Wähler diesem Bündnis in einer
Landtagswahl nach der anderen eine Mehrheit verschafft hätten. Diese Partei
will doch gar nicht mehr alleine die Verantwortung tragen, nachdem man doch mit
Mutti ihm Boot so kuschelig gefahren ist und am Ende niemand Schuld am
angerichteten Schlamassel hatte – wie das immer so ist, wenn alle es waren. Ein
weiterer Beleg dafür ist doch die Nominierung Peer Steinbrücks zum
Kanzlerkandidaten, für die es nur 2 mögliche Erklärungen gibt: entweder, der
Mann wurde von der CDU geschickt eingeschleust um die SPD zu sabotieren, oder
aber SPD-Führung wie Basis selbst wollen einen Wahlsieg um jeden Preis
verhindern. Wie sonst wäre diese eklatante Fehlbesetzung zu erklären? Ein ideologisch
rechtsgerichteter SPD-Kanzlerkandidat, der mehr Gehalt für den Kanzler fordert?
So blöd kann man gar nicht sein – das ist doch Absicht.
Die FDP muss eigentlich als
verfassungsfeindlich bezeichnet werden, so sehr wie sie sich in ihren
Steuersenkungstiraden darum bemüht, den Staat als die Wurzel allen Übels in den
Köpfen der Menschen zu verankern, als würden mit Steuergeldern keine Straßen
gebaut und für ein gewisses Maß öffentlicher Ordnung und Versorgung gesorgt,
sondern Hundebabys erstickt und Terroristen finanziert. Zumindest über
letzteres könnte man freilich durchaus diskutieren, aber ich schweife ab. Aber auch ihre Weigerung gegen kritische Formulierungen im Armutsbericht und die damit verbundenen Leugnung der zerstörerischen Fliehkräfte des Kapitalismus auf die Gesellschaft zeugen nicht gerade von einer Grundhaltung, die nicht so recht mit Menschenwürde und Sozialstaatsgebot des Grundgesetztes zusammenpassen will.
Bleiben derzeit noch die Grünen
und die Linke. Insbesondere die Grünen haben ja nachwievor das Image einer
alternativen Partei, doch sieht man genauer hin, dann singen sie das Hohelied
des Kapitalismus genauso wie die, zu deren Ablösung sie vor Jahrzehnten
angetreten waren, nur eben in einer anderen Klangfarbe. Doch ein paar
Blumengirlanden machen aus einem Exerzierplatz noch lange keinen
Kinderspielplatz. Auch bei den Grünen geht es im Kern doch einzig und allein um
Wachstum als Lösung aller Probleme, aber es soll halt bitteschön grün sein.
Aber Hand aufs Herz: auch Kinderarbeit kann CO²-neutral sein.
Solange wir Antworten immer nur
innerhalb dessen suchen beziehungsweise geboten bekommen, was uns der
Kapitalismus an Handlungsalternativen vorgibt, können wir die Probleme, die
durch diese Wirtschaftsform hervorgerufen werden, nicht lösen. Das ist verkürzt
gesagt so, als würde jemand versuchen, sich an seinen eigenen Haaren aus dem
Sumpf zu ziehen. Erst, wenn wir die Logik des Systems kritisch beleuchten und
ernsthaft versuchen jenseits der ausgetretenen Pfade Lösungen zu finden, dann
kann es vlt. gelingen, aus dem Kreis immer gleicher, nur neu verpackter Platituden
auszubrechen. Die einzige deutsche Partei, die dies derzeitig noch – und immer
zaghafter – wagt, ist die Linke. Sie wird jedoch von den bereits angesprochenen
Medien derartig niedergeschrieben, dass sie für viele Wähler einfach keine
realistische Option ist. Dabei hilft die Haltung der SPD sowie das teilweise
selbstzerstörerische Verhalten einzelner Parteimitglieder relativ wenig. Man
wird einfach nicht als ernstzunehmende Kraft wahrgenommen, wenn niemand mit
einem zusammenarbeiten will und man gleichzeitig noch den greisen Führern
karibischer Diktaturen zum Geburtstag für ihr Lebenswerk gratuliert. Da können
im Parteiprogramm noch so richtige Sachen stehen.
Wer fragt sich angesichts dieses
desolaten Bildes noch ernsthaft, warum so viele Menschen in diesem Land sich
nicht an Wahlen beteiligen wollen? Ihr wollt wieder mehr Wähler an den Urnen?
Dann bietet wirkliche Alternativen! Streitet euch und ringt um wirkliche
Lösungen, nicht nur faule Kompromisse, die Problem nicht lösen, sondern
allenfalls verschleiern! Solange es rein gar nichts ändert, wen man wählt, so
lange wird die Zahl derer, die dieses Theater nicht mehr mitmachen, immer größer
werden. Die absolute Mehrheit winkt!